09.03.2023
Das Steueraufkommen ist 2022 schneller als die Wirtschaft gewachsen. Das hat einige Gründe
Noch nie seit der Wiedervereinigung flossen so viele Steuern in die Kassen von Bund, Ländern und Kommunen, nie war die Steuerlast höher . Im vergangenen Jahr entsprachen die Einnahmen des Staates 24,52 Prozent der Wirtschaftsleistung. Damit wurde der Rekordwert von 2021 übertroffen, als die Quote bei 24,37 Prozent lag. Das ergibt sich aus Berechnungen auf Grundlage von Zahlen des Statistischen Bundesamts.Es setzt sich eine Entwicklung der vergangenen Jahre fort: Die Steuereinnahmen des Staates steigen schneller als die Wirtschaftskraft des Landes. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen die Relation von Steuereinnahmen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) deutlich sank. Das war über mehrere Jahre hinweg letztmals nach der großen Steuerreform unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) der Fall.
Der neue Rekordwert 2022 geht auf keine direkte Steuererhöhung zurück, sondern auf eine Kombination aus hoher Inflation und überraschend robustem Konjunkturverlauf. „Der Staat ist ein Inflationsgewinner und verdient bei den sich inflationär aufblähenden Einkommen stark mit“, sagt Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzen“ am ZEW in Mannheim. Zudem spiegele sich in der historisch hohen Quote die „stabile ökonomische Entwicklung im Hinblick auf Beschäftigung, privaten Konsum und Unternehmensgewinne“. Dazu habe auch die Bundesregierung mit ihren milliardenschweren Hilfspaketen beigetragen.Dies hatte auch das Statistische Bundesamt in Wiesbaden bei seiner Mitte Januar präsentierten Auswertung des Wirtschaftsverlaufs festgestellt.
„Im Frühjahr 2022 wurden fast alle Corona-Schutzmaßnahmen aufgehoben. Dies trug zunächst zur Erholung der deutschen Wirtschaft bei“, sagte die neue Präsidentin Ruth Brand .
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine Ende Februar und den in der Folge extrem gestiegenen Energiepreisen sei der Aufschwung dann gebremst worden. „Trotz dieser nach wie vor schwierigen Bedingungen konnte sich die deutsche Wirtschaft im Jahr 2022 insgesamt gut behaupten“, sagte Brand. Dies allein erklärt allerdings nicht, warum die Steuerquote stieg – warum sich die Steuereinnahmen im Vorjahr also schneller erhöhten als die Wirtschaftsleistung. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Das BIP kletterte nominal von 3601 Milliarden Euro auf 3858 Milliarden Euro. Das war ein Plus von 7,1 Prozent. Steuerpflichtige zahlten aber sogar 7,7 Prozent mehr, die Zahlungen erhöhten sich von 878 Milliarden Euro auf 946 Milliarden Euro.
„Die Rekordsteuerquote liegt unter anderem an dem starken Rückgang der Sparquote. Das treibt die Umsatzsteuer“, sagt Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Nach dem Ende der Corona-Beschränkungen gaben die Menschen wieder mehr Geld aus – sowohl weil sie wollten, als auch weil sie wegen der gestiegenen Preise mussten. Die Sparquote sank gegenüber dem Vorjahr von 15 Prozent auf 11 Prozent. Von dem erhöhten heimischen Konsum profitierte der Staat direkt durch die Mehrwertsteuer.
Hinzu kamen höhere Steuerüberweisungen von Unternehmen. Das lag nicht nur an der robusten Konjunktur. Boysen-Hogrefe sieht darin auch eine weitere Folge der Pandemiezeit, in der Unternehmen weniger investierten. „Dieses Investitionsloch führt zu höheren Steuereinnahmen, da Abschreibungsmöglichkeiten fehlen“, sagt er. Unternehmen müssen erst einmal investieren, um Ausgaben steuerlich geltend machen zu können.
Ein weiterer Grund für die Rekordquote ist der im Vorjahr noch fehlende Inflationsausgleich bei der Einkommensteuer. Ein Arbeitnehmer rutschte bei Lohnerhöhungen in einen höheren Steuertarif, obwohl er eigentlich weniger Kaufkraft hatte, sein Realeinkommen also sank.
„Dieser Ausgleich durch eine Anpassung des Steuertarifs war im Vorjahr unzureichend“, sagt Boysen-Hogrefe.
Die Anhebung des Grundfreibetrags zum 1. Januar 2022 habe nicht gereicht. Auch andere Maßnahmen wie beispielsweise der Tankrabatt , der aus einer Senkung der Energie- und der Mehrwertsteuer bestand, hätten der Erhöhung der Steuerlast zwar entgegengewirkt, aber längst nicht ausgereicht, um den Rekordwert zu verhindern.Für dieses Jahr gehen die Steuerexperten immerhin von einer Unterbrechung der Rekordjagd aus. „Ich erwarte, dass sich der Anstieg der Steuerquote nicht mehr fortsetzt“, sagt Heinemann vom ZEW.
Der Beschäftigungsaufbau komme zum Erliegen und die Profitabilität vieler Unternehmen werde deutlicher sinken. Auch sei mit einem realen Rückgang des Konsums zu rechnen. „Das wird den inflationären Anstieg der Mehrwertsteuer begrenzen“, sagt er.
Hinzu kommt der vollständige Ausgleich der kalten Progression in diesem Jahr. Die Eckwerte des Steuertarifs wurden nach oben gesetzt. Der Grundfreibetrag wurde weiter erhöht. Zudem greift der Spitzensteuersatz von 42 Prozent 2023 erst bei einem zu versteuernden Einkommen von 62.827 Euro. 2022 wurde er schon ab 58.597 Euro fällig. „Nimmt man das Inflationsausgleichsgesetz hinzu, dann besteht 2023 keine Aussicht auf eine steigende Steuerquote“, sagt Heinemann. Die Steuereinnahmen des Staates würden zwar „mit der sich inflationär aufblähenden nominalen Wirtschaftsleistung weiter kräftig steigen“, aber nicht mehr rascher als das Bruttoinlandsprodukt.
Zählt man zu den Steuern die Sozialabgaben hinzu, die im vergangenen Jahr abgeführt wurden, ergibt sich übrigens ein etwas anderes Bild. Die sogenannte Abgabenquote kletterte 2022 auf kein Allzeithoch. Sie blieb zwar hoch, sank aber geringfügig von 41,96 Prozent auf 41,78 Prozent. Das lag unter anderem an der gesunkenen Zahl an Menschen in Kurzarbeit. Der Hintergrund: Wer in Kurzarbeit ist, trägt weniger zur Wirtschaftsleistung eines Landes bei, Sozialbeiträge fließen aber trotzdem. Endet die Kurzarbeit, steigt ihr Beitrag zur Wirtschaftsleistung, die Quote sinkt.
Am Ende könnte es 2023 eine gegensätzliche Entwicklung geben: Die Steuerquote sinkt, dafür steigt die Abgabenquote leicht, da höhere Sozialbeiträge gezahlt werden müssen. Um beide Quoten nachhaltig zu senken, müssten sich die Regierenden zu Reformen durchringen, die über Maßnahmen wie den Ausgleich der kalten Progression weit hinausgehen. Doch das ist nicht Sicht.
Erschienen am 23.1.2023 in DIE WELT von Karsten Seibel
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